Kasachstan
Ab in den wilden Osten
Noch in Astrachan haben wir
wieder einmal Glück. Beim Suchen einer Strassenkarte von Kasachstan stossen
wir auf drei Radfahrer (Enric und Xavi aus Cataluna sowie Jan aus der
Schweiz). Dies, nachdem wir von unmotivierten Buchhändlerinnen dauernd mit
"Ja ne znaiu" (Ich weiss nicht) abgespeist wurden und schon fast den Mut
verloren haben. Die drei Radler schenken uns den Ausschnitt aus ihrer Karte,
den wir brauchen. Schon fünf Minuten später können wir uns revanchieren:
Bettina kann die drei dank ihrer Russischkenntnisse aus den Fängen eines
übereifrigen Ordnungshüters retten.
Niemandsland nach der
russischen Grenze. Und plötzlich tauchen aus dem Nichts zwei Jungs auf einem
Pferd auf. Wir bestaunen uns lange gegenseitig bis sie uns anbieten, unseren
Drahtesel gegen das Pferd zu tauschen. Gerne nehmen wir dieses Angebot für
ein paar Meter an - Willkommen im wilden Osten.
Atyrau - Oelstadt in der Steppe
Auf dem Weg nach Atyrau finden
wir einmal sogar Zugang zum kaspischen Meer, das sonst immer ein paar
Kilometer zu weit von der Strasse entfernt ist. Schwimmen können wir zwar an
diesem Ort nicht: der Wasserstand ist noch bescheidener als derjenige am
Azovschen Meer. Aber wir freuen uns, uns nach einem heissen Tag richtig
waschen zu können und geniessen den Abend in diesem ornithologischen
Paradies. Kurz darauf Szenenwechsel: Es ist Sonntag, heiss und wir kämpfen
gegen soviel Gegenwind, dass wir das Gefühl haben, die Alpe d`Huez zu
fahren. Plötzlich taucht mitten in der Steppe eine Stadt auf. Wir haben das
erste Zwischenziel in Kasachstan - Atyrau - erreicht. Das Stadtzentrum wird
zur Zeit nach Weststandards renoviert. Finanzkräftige Oelfirmen investieren
und errichten ihre Repräsentationspaläste. Bis auf die Fahrt mit den
Marschrutkas (Sammeltaxis) ist alles massiv überteuert. Was in dieser Stadt
vor sich geht, lässt sich wohl am besten am eingepackten Stadttheater
ablesen: Der ehemals schlichte Sowjetbau wir nun Hals über Kopf in einen
Styropor-Gipstempel verwandelt. Das plötzlich verfügbare Geld kommt aus dem
Boden und ist dunkel-zähflüssig. Das einzige Bemerkenswerte in dieser Stadt:
Wir überschreiten den Fluss Ural und sind damit in Asien angekommen.
Nicht nur die Wüste lebt
Unsere Fahrradherzen verlangen
sehr bald wieder nach der unendlichen Weite der Landstrasse. Wir verlassen
Atyrau, fahren in die Steppe zu Kamelen, Skorpionen, Lastwagenfahrer,
halbwilden Pferden, Wind und Trockenheit. Und vor allem dorthin, wo die Ruhe
genauso gross ist wie der Himmel weit. Bei grosser Hitze trinken wir bis zu
einem Liter Wasser die Stunde. Zum Glück gibt es alle 50 bis 100 Kilometer
Tschaichanas - Teestuben. Diese Institution ist vergleichbar mit den
Berghütten in unseren Alpen: Sie bieten Schutz vor Wind und Wetter.
Verpflegung ist genauso erhältlich wie Informationen zum Strassenzustand.
Und sie sind die Treffpunkte der Fernfahrer. Wenn uns die Hitze zu sehr
zusetzt und der Wind unbarmherzig um die Ohren pfeift, sind sie unsere
Zufluchtsstätte. In der heissesten Tageszeit verbringen wir so jeweils zwei
bis drei Stunden im Schatten, schreiben, lesen und ruhen uns aus. Gegen
Abend schwingen wir uns noch für ein paar Stunden in den Sattel, um bei
Sonnenuntergang vom Fahrrad zu kippen, das Zelt aufzustellen und in den
Sternenhimmel zu gucken.
Tengiz - Der Kampf ums Oel
Plötzlich tauchen am Horizont
meterhohe Flammen auf, die aus hohen Kaminen schlagen. Der Lärm erinnert an
Triebwerke startender Flugzeuge. Schon längere Zeit haben Bohrtürme und
Pumpen dieses riesige Oelfeld am kaspischen Meer angekündigt: Tengiz.
Kasachen, Amerikaner, Engländer und Italiener sind dabei, die riesigen
Erdölvorkommen, die es hier geben soll, im Wettlauf zu erschliessen. Von
einer kasachischen Oel-Gas-Firma werden wir herzlich aufgenommen und
wunderbar bewirtet. Auch wir also, obwohl unsere Transportmittel nicht von
der Erdölindustrie abhängig sind, profitieren von dem vielen Geld, das hier
vorhanden ist.
Die Reise nach Aktau
Eine Woche, bevor wir in
Usbekistan einreisen können (unser Visum ist noch nicht gültig) erreichen
wir die Grenze. Wir entschliessen uns, einen Ausflug nach Aktau, ans
kaspische Meer zu machen. Dies bedeutet nochmals 400 Kilometer Fahrt durch
die Steppe. Anders als erhofft, wird diese Unternehmung zu unserer wohl
mühsamsten Zeit auf der Reise. Die unasphaltierte Schotterpiste ist nicht
das alleinige Problem. Das kennen wir schon. Doch der starke Wind macht ein
Vorwärtskommen auf diesen Staubstrassen fast unmöglich. Bettina bekommt
zudem noch Fieber. Wir lassen uns daher gerne von einem Kamazfahrer
mitnehmen (Kamaz = russischer LKW. Laut dem Fahrer die einzigen, die für
Fahrten über diese schlechten Strasse geeignet seien, denn Mercedes, Volvo,
Scania würden alle auseinander fallen). Ob wahr oder nicht, beruhigend ist
es jedenfalls nicht, als er uns erzählt, er habe am Morgen schon eine
Flasche Vodka geleert. Anders würde er die einsamen Fahrten durch die Steppe
gar nicht ertragen, meint er lachend und braust mit 80 Stundenkilometern
über die Schlaglöcher hinweg. Ein richtiger ?Held der Steppe?. Stunden
später haben wir einen Platten am zweiachsigen Anhänger. Nach einer kurzen
Bedenkzeit in einer Tschaichana fahren wir ohne Radwechsel mit
unverminderter Geschwindigkeit weiter. Nachts kommen wir - Bettina immer
noch fiebrig - in einer trostlosen Provinzstadt an. Eine usbekische
Barangestellte hat Mitleid und bringt uns in ihrem Wohnwagen unter. Am
nächsten Tag - Bettina ist immer noch krank und der Wind bläst mit
unverminderter Stärke, nehmen wir am Abend den Zug nach Aktau. Wieder einmal
kommen wir spät nachts an. Da der Bahnhof 18 Kilometer ausserhalb der Stadt
liegt, bieten uns die Wagenbegleiterinnen an, dass wir im Zug übernachten
können. Sie versorgen uns mit heissem Wasser für Tee sowie Decken und
Kissen. Nachdem der Wagen noch einige Male auf den Geleisen hin- und
hergeschoben wird, verbringen wir eine ruhige Nacht. Am nächsten Tag
erreichen wir nach dieser Odyssee endlich Aktau. Unser Führer hat Recht,
wenn er schreibt: "One of the strangest places scattered across the former
USSR". Die Stadt wurde vor 40 Jahren an diesem eigentlich lebensfeindlichen
Ort erbaut. Die Sowjets wollten das Uranvorkommen ausbeuten. Aus der Steppe
kommt nichts. Alle Waren müssen über die schlechten Strassen angeliefert
werden und sind überteuert. Das Trinkwasser wird unter enormem
Energieaufwand aus Meerwasser aufbereitet. Der Strom dafür stammt aus einem
Atomreaktor. Die ganze Stadt ist in nummerierte - Mikrorayons - aufgeteilt.
Strassennamen gibt es keine. Die Adresse der Wohnung, die wir für zwei
Nächte mieten, lautet: 14-34A-21 (Mikrorayon, Haus, Wohnung). Alles klar?
Immerhin haben wir Sicht aufs kaspische Meer und können auch wieder mal
selber kochen und uns etwas gesünder ernähren. Doch wir sind froh, diese
staubige, wasserlose Stadt am Meer mit ihren heruntergekommenen
Plattenbauten bald verlassen zu können. Wir freuen uns jetzt auf
Usbekistan, das Land, aus dem die Früchte und das Gemüse kommen, und alte
Städte wie Buchara, Samarkand beherbergt.
Kilometerstand (15.9.04): 6627km
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